Manifest für ein Kino nach Corona

Vorlesung im Kino (SS 2022)

Filmgeschichte als Krisengeschichte: 100 Jahre. Filmmanifest und die Folgen
Manifest für ein Kino nach Corona
Foto: Bernhard Groß
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Filmgeschichte als Krisengeschichte: 100 Jahre. Filmmanifest und die Folgen

Manifest für ein Kino nach Corona
Manifest für ein Kino nach Corona
Foto: Bernhard Groß

Manifeste fungieren als Seismografen für sich krisenhaft zuspitzende Problemlagen. Sie markieren die Felder, auf denen sich im jeweiligen historischen Kontext für eine Gesellschaft die drängendsten Fragen stellen, und sie tun dies meist als proklamatorisch und apodiktisch verfasste Texte, die mit der kritischen Bestandsaufnahme zugleich aktivistische Handlungsprogramme formulieren. Manifeste treten mit emphatischer Vehemenz für ihre unterschiedlichen Zukunftsentwürfe und im weitesten Sinn politischen Agenden ein und setzen damit ihren politischen Ursprung fort; bekanntester Vertreter ist Marx' Kommunistisches Manifest von 1848. Von dort aus fächert sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die Tradition der Kunst-, Literatur- und Filmmanifeste auf. Diese Entwicklung wirft die Frage auf, welchen Stellenwert das Filmmanifest historisch, ästhetisch wie politisch für das Medium Film hat.

Die Vorlesung geht von der These aus, dass Filmmanifeste als Krisenphänomene historische Phasen und Umbrüche markieren, in denen sich verschiebt und neu ausgehandelt wird, was den Film als Medium ausmacht. Deshalb will die Vorlesung Filmmanifeste der letzten 100 Jahre untersuchen, die an verschiedenen historischen Einschnitten entstanden sind: Etwa in den sog. klassischen Avantgarden im Zuge der politischen Umwälzungen des frühen 20. Jahrhunderts, zur Einführung des Tonfilms, in Bezug auf die Reflektion der Verbrechen gegen die Menschheit nach 1945 in verschiedenen Neoavantgarden oder zur Entstehung des sog. Dritten Kinos als militantes Kino, etwa in Lateinamerika  der 1960er Jahre oder zu den feministischen Bewegungen seit den 1970er Jahren bis hin zur aktuellen Krise des Kinos durch die digitalen Veränderungen. Flankiert wird diese "Filmgeschichte als Krisengeschichte" anhand von Filmmanifeste durch die parallele Untersuchung von Manifestfilmen, d.h. Filmen, die selbst die Erneuerung des Mediums gefordert und reflektiert haben, wie etwa Dziga Vertovs mann mit der kamera von 1929 oder Laura Mulveys Film riddles of the sphinx, von 1977, der nach dem weiblichen Blick im Kino fragt bis hin zu Isaiah Medinas inventing the future von 2020, der nach den Möglichkeiten einer postkapitalistischen Zukunft fragt.

Ziel der Vorlesung ist es, einen Überblick zu schaffen, der anhand der unterschiedlichen Funktionen und Agenden von Filmmanifesten die paradigmatische Bedeutung aufzeigt, die diese in den jeweiligen Konstellationen für die historischen Umbrüche und das Denken des Films übernehmen.